Dr. Johannes Bickel
Der Artikel von Rainer Hank in der letzten Akzente-Ausgabe hat überrascht.
Er schreibt, die Globalisierung nütze letztlich allen, vor allem der
"Dritten Welt", die globalen Finanzmärkte funktionierten gut, und der
Wettbewerb sei das moralische Gewissen des Kapitalismus. Wer nur kurz im
Wirtschaftsteil der Zeitung blättert, weiß: die Wirklichkeit ist anders.
65% der Deutschen teilen die Besorgnis gegenüber der jetzigen Art der
Globalisierung (lt. Spiegel-Umfrage).
Das Versprechen, die Globalisierung bringe Wohlstand für alle, hat sich
nicht erfüllt. Sie bringt Vorteile für einige - aber zugleich erhebliche
Gefahren für viele, besonders die Schwachen (Menschen, Unternehmen und Länder).
Weltweit wachsen soziale Unsicherheit und Ausgrenzung. Die alte Theorie, vom
Freihandel profitierten alle, erinnert fatal an die Hühnerhof-Ökonomie, nach
der man den Hühnern und Füchsen auf dem Hof nur völlige Freiheit lassen müsse,
damit sich alle Tiere prächtig entwickeln. Die Realität ist: es gibt kleine
und große Firmen, schwache und mächtige Länder. Mit Sicherheit haben die
multinationalen Unternehmen, die fast alle aus den Industrieländern stammen,
von der Liberalisierung des Außenhandels und des Kapitalverkehrs am meisten
profitiert. Neben den sozialen sind die ökologischen Gefahren der Globalisierung
zu nennen (die bei Hank nicht auftauchen): der Giftmüllexport in arme Länder,
die Unternehmensverlagerungen in Länder mit laschen Umweltregeln, das Ozonloch,
der Treibhauseffekt, der Artenschwund etc., die alle wesentlich eine Folge der
Globalisierung des westlichen Wirtschaftssystems sind.
Was die so gen. Entwicklungsländer betrifft, so werden sie von den Konsumgütern
des Nordens überschwemmt (infolge der Liberalisierungsauflagen von IWF und
Weltbank), aber für ihre eigenen Agrar- und Textilexporte gibt es in der EU
und den USA nach wie vor erhebliche Handelsbarrieren. Die reichen Länder haben
(über die Washingtoner Institutionen) bei den armen Ländern die Marktöffnung
durchgesetzt, die sie selber nicht gewähren! Die Entwicklung der armen Länder
wird somit nicht nur durch interne Faktoren behindert (Hank: Korruption und
Bürokratie), sondern auch durch externe. Und: viele interne Probleme werden
durch externe Ursachen, für die wesentlich der Norden verantwortlich ist,
erst ermöglicht.
Beispiele hierfür lassen sich leicht finden: Die Rüstungsimporte im Süden,
die von den Industrieländern gern kritisiert werden, sind ganz überwiegend
deren eigene Rüstungsexporte. Ähnlich ist es mit der Korruption in den so
gen. Entwicklungsländern. Die größten Bestechungssummen (bei Projekten über
100 Mio $) werden von multinationalen Unternehmen (aus dem Norden) bezahlt
- Firmen der Südhalbkugel können da selten mitbieten. Die Kapitalflucht von
Autokraten der armen Länder ist nur möglich durch die vertrauensvolle
Zusammenarbeit mit Banken in der Schweiz und anderen reichen Ländern.
Dass die deregulierten Finanzmärkte gut funktionieren, behaupten vor allem
Finanzkonzerne und ihre Lobbyisten. Alle andern Beobachter erkennen an,
dass weniger die wirtschaftlichen Fundamentaldaten, als vielmehr die
Spekulation und ihr Herdentrieb das Auf und Ab der Kurse bestimmen.
Selbst George Soros, der das englische Pfund aus dem Eur. Währungssystem
hebelte, sagt nunmehr: "Wenn Leute wie ich ein Währungsregime stürzen können,
stimmt mit dem System etwas nicht." Die internationalen Finanzmärkte sind es
(neben internen Fehlern), die immer häufiger Finanz- und Währungskrisen
herbeiführen - Argentinien ist das jüngste Beispiel. Die Steuerflucht in
die Steueroasen, die den Kern der Kapitalmärkte bilden, trägt bei uns zur
Ebbe in allen öffentlichen Kassen bei. Deshalb die schlecht bezahlten
Krankenschwestern und der Pflegenotstand, die Schulklassen mit über 30
SchülerInnen, die Erhöhung von Kindergartengebühren, die Schließung von
Schwimmbädern usw.
Fazit: Die Globalisierung hat zu einem ruinösen Wettbewerb geführt,
der auf moralische Bedenken kaum Rücksicht nehmen kann. Deshalb haben
Gräfin Dönhoff und Helmut Schmidt vor dem Abgleiten in den Kasinokapitalismus
und eine Wildwestwirtschaft gewarnt. Demgegenüber sind die neuen sozialen und
Umweltbewegungen wie Attac, Greenpeace, aber auch Brot für die Welt und viele
andere für eine Globalisierung der Solidarität mit den Schwachen, den
Entwicklungsländern und mit der Natur (ganz ähnlich wie schon der Konziliare
Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung). Sie sind
keine Globalisierungsgegner (so Hank), sondern Globalisierungskritiker - sie
agieren ja selber global. Sie setzen sich weltweit für soziale und
Umwelt-Mindeststandards ein und dafür, dass der Mensch die Wirtschaft
bestimmt und nicht umgekehrt.
(Vgl. www.attac-netzwerk.de bzw. das gerade erschienene Buch
Grefe-Greffrath-Schumann, Attac - Was wollen die Globalisierungskritiker?,
Rowohlt, 12,90 €)
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